Kapitel I
1 Ich, Jan Jannsen
Es ist so gegen 7.00 Uhr morgens. Und alles ist, soweit ich es beurteilen kann, ausgesprochen gut und erfüllend. Mein Leben ergibt einen höheren, von mir noch nicht ganz erschlossenen Sinn und die letzte Nacht ist erholsam, wie selten eine zuvor in den letzten drei Wochen gewesen. Im Reinen bin ich mit mir. Und zwar so richtig. Das glaube ich aus irgendeinem unerfindlichen Grund in meiner gesamten Naivität an diesem eisigen Wintermorgen tatsächlich.
Ich bin übrigens der Jan. Nachname Jannsen. Jannsen hießen meine Eltern in ihrer Vergangenheit als glückliches Elternehepaar. Also auch ich. Das gibt die Namensgesetzgebung in diesem Land so vor. Und deswegen habe ich mich daran gehalten. Und bin jetzt um 7.06 der scheinbar in sich ruhende Jan Jannsen.
Gleichwohl wäre es jetzt nicht verwunderlich, wenn ich offen für eine andere Sicht der Dinge wäre, dass vielleicht DOCH irgendetwas nicht so dolle ist. Es gibt ja schon das ein oder andere Anzeichen, welches mich zu einer anderen Einschätzung meiner Lebenswirklichkeit führen könnte. Denn, nicht auszuschließen ist, dass ich in einer Eingebung erkannt habe, dass die Namenskombi Jan + Jannsen = Jan Jannsen mir ein bisschen einfallslos erscheint, ziemlich blöde sogar. Und wenn ich mich schon auf diesem Erkenntnispfad der Gründe für die Gabe von Scheißnamen tummele, könnte ich auch mehr erkennen. Wenn es denn mein Ziel wäre, irgendetwas zu erkennen.
Es klopft leise an der Tür. Sie öffnet sich einen Spalt breit, eine Hand greift um die Ecke und drückt auf den Lichtschalter. Ein grausames Neon Deckenlicht strahlt mir erbarmungslos ins Gesicht. Ich ziehe mir, verstört und orientierungslos, wie ich jetzt gerade bin, die Bettdecke über mein Gesicht.
Das ist jetzt natürlich in dieser Situation eine clevere Herangehensweise. Für die jetzige, kurze Phase meiner Existenz unter der Bettdecke fühle ich mich nämlich sicher, wie ein Fuchsjunges im schützenden Fuchsbau. Auf jeden Fall wird einem sowas immer in seriösen Tierdokumentationen im öffentlich-rechtlichem Fernsehen Freitag Nachmittag auf den Dritten vermittelt. Der sichere Fuchsbau, lauschig warm, die immerzu wachsame Fuchsmami, Wärme spendend durch ihr flauschig weiches Mamafell, während das Fuchs Heranwachsende sich in das Fell hineinlümmelt und überzeugt ist, dass es nichts Schöneres als ein behütetes Fuchsleben geben kann. Und Nachdem die Fuchsmami den Nachwuchsfuchs mit einem totgebissenen, bluttriefenden Kleingetier der vergangenen Nachtjagd gefüttert hat ist alles so, wie es immer und immer sein wird und sein soll.
Ich höre jetzt leise Schritte, die sich mir ziemlich zielstrebig nähern. Eins, zwei, drei. Jemand scheint vor meinem Bett zu stehen.
„Guten Morgen Herr Jannsen, gut geschlafen? Wir müssten jetzt mal eben Fieber messen. Der Tag hat nämlich für uns alle jetzt begonnen!“
Die Stimme, die sich leicht gedämpft durch meine über meinen Kopf gezogene Bettdecke schleicht, kenne ich. Ich bin nämlich schon ganz schön lange hier. Die Stimme gehört der Lernschwester Simone. Und sie ist sehr bestimmt. Also nicht unbedingt bittend. Ziemlich überzeugend hat sie mir gesagt, dass der Tag nun wirklich angefangen hat. Ich glaube ihr jedes Wort und bin beeindruckt. Wie jedes Mal, wenn sie diese Sätze morgens zu mir sagt.
Ich ziehe die Bettdecke ein wenig Stirn runzelnd nach unten in Richtung meines Kinns kurz unter den Mund, ein Fieberthermometer erscheint mir fünf Zentimeter vor meinen Augen sich drehend in einer schönen, makellosen Hand. Ich lächele Lernschwester Simone zaghaft ins Gesicht und greife mit meiner ebenfalls noch makellosen Hand nach dem Thermometer.
„Bitte. Wie immer zwei Minuten unter die Achselhöhle stecken. Und dann bitte auf den Beistelltisch legen.“
Nicht immer steht übrigens morgens in der Frühe Lernschwester Simone mit dem sich filigran in der Hand drehenden Fieberthermometer vor meinem Bett. Manchmal ist es auch eine erfahrenere, ältere Schwester. Zum Beispiel die Frühschichtschwester Doris. Oder auch die Marianne. Oder die Petra. Zwischenzeitig kenne ich alle Schwestern der Station. Weil ich schon so lange hier bin. Aber nur in Simone‘s Hand dreht sich das Thermometer so gekonnt und fast schon artistisch.
Ich freue mich morgens immer so richtig dolle, wenn Lernschwester Simone an meinem Bett steht. Ich mag Simone. Die anderen Schwestern natürlich auch. Hier, in diesem Krankenhaus sind nämlich alle sehr nett zu mir. Die Schwestern, die Ärzte und auch die fünf anderen Patienten als temporäre Mitbewohner in meinem Zimmer. Aber Simone mag ich am Liebsten.
Simone ist ungefähr in meinem Alter. Also ungefähr achtzehn Jahre alt. Ich bin zwar schon neunzehn, also ein Jahr älter. Aber in diesem Alter ist dieser klitzekleine Unterschied egal. Wir sind in diesem Alter alle jung, begehrt und so voller Lebensenergie und haben alles noch vor uns. Verwegene Abenteuer, dramatische Beziehungen, schlimme Tragödien und irgendwann bestimmt voll aufregende Jobs.
Hab ich das erwähnt? Simone ist echt hübsch. Ich mein so richtig. Und wie schon gesagt, immer freundlich. Und das weiß man ja, hübsch und freundlich ist eine unschlagbare Verbindung.
Für mich ist das Alles deswegen auch sehr eindeutig. Das mit der Freundlichkeit. Simones Freundlichkeit ist nachvollziehbar sicherlich zu einem gewissen Teil erst einmal der Freude an ihrem Job als Krankenschwester geschuldet. Denn das ist bestimmt ein toller und erfüllender Job. Simone befindet sich den gesamten Arbeitstag auf der Seite des Guten.
Aber das ist nicht der einzige Grund für ihre Freundlichkeit. Und das spüre ich in meinem Innersten. Auch die Freude, mir, dem Jan Jannsen, morgens um sieben ein Fieberthermometer in die Hand drücken zu dürfen und mir mitzuteilen, dass der jetzt nun wirklich begonnen habe, ist ganz klar für mich erkennbar. Der Morgen kann für mich und der Lernschwester Simone nicht besser beginnen…
Dies ist der Anfang von etwas Ganzem und so wird diese Geschichte Stück für Stück gedeihen und schlussendlich als Buch enden.
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